Verse zum Herbst

Verse zum Herbst
Photo by Dan Freeman / Unsplash

Der scheidende Sommer

Das gelbe Laub erzittert,
Es fallen die Blätter herab;
Ach, alles was hold und lieblich,
Verwelkt und sinkt ins Grab.

Die Gipfel des Waldes umflimmert
Ein schmerzlicher Sonnenschein;
Das mögen die letzten Küsse
des scheidenden Sommers sein.

Mir ist, als müßt ich weinen
Aus tiefstem Herzensgrund;
Dies Bild erinnert mich wieder
An unsere Abschiedsstund'.

Ich mußte von dir scheiden,
Und wußte, du stürbest bald;
Ich war der scheidende Sommer,
Du warst der sterbende Wald.

Heinrich Heine (1797 - 1856), Christian Johann Heinrich Heine (Harry Heine), deutscher Dichter und Romancier, ein Hauptvertreter des Jungen Deutschland, Begründer des modernen Feuilletons.


Regentag im Herbst

Still vom grauen Himmelsgrunde
Sprüht der sanfte Regenstaub -
Trüber Tag und trübe Stunde -
Thränen weint das rothe Laub;
Vom Kastanienbaum ohn' Ende
Schweben still die welken Hände.

Trübe Herbstesregentage:
Gerne wandr' ich dann allein,
Was ich tief im Herzen trage,
Leuchtet mir in hellem Schein;
In die grauen Nebelräume
Spinn' ich meine goldnen Träume.

Und so träum' ich still im Wachen,
Bis der Abend niedersinkt,
Und in all den Regenlachen
Sanft und roth sein Abglanz blinkt.
In der Nähe, in den Weiten:
Rosenschimmer bessrer Zeiten!

Seidel, Heinrich (1842-1906)


Herbst

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;

Schenk ein den Wein, den holden!Wir wollen uns den grauen Tag. Vergolden, ja vergolden!

Und geht es draußen noch so toll,Unchristlich oder christlich,Ist doch die Welt, die schöne Welt, So gänzlich unverwüstlich!

Und wimmert auch einmal das Herz -Stoß an und lass es klingen! Wir wissen's doch, ein rechtes Herz ist gar nicht umzubringen.

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;Schenk ein den Wein, den holden! Wir wollen uns den grauen Tag vergolden, ja vergolden!

Wohl ist es Herbst; doch warte nur, Doch warte nur ein Weilchen! Der Frühling kommt, der Himmel lacht, es steht die Welt in Veilchen.

Die blauen Tage brechen an, Und ehe sie verfließen, Wir wollen sie, mein wackrer Freund, Genießen, ja genießen!

Theodor Storm (1817-1888)

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