Editorial zur 3. Ausgabe: Spätes Herbstlaub im Kuhombutsu Tempel

Editorial zur 3. Ausgabe: Spätes Herbstlaub im Kuhombutsu Tempel
Ahornlaub im Jōshin-ji / Kuhombutsu - Tempel ©2015 R. Rehahn

Die Zeit des Herbstlaubes war im Dezember eigentlich schon vorbei und eine tiefe Enttäuschung darüber begann mich zu erfüllen.

Wider Erwarten hatte ich jedoch das Glück noch etwas davon auf einem Spaziergang Mitte Dezember im buddhistischen „Jōshin-ji (Kuhombutsu)“ Tempel in Tokio zu erleben, der zu jeder Jahreszeit ein Ort der inneren Einkehr & dem Naturerlebnis ist.

Als ich darüber nachdachte, warum ich in Japan die Jahreszeiten so bewusst erlebe, wenn ich doch in Deutschland natürlich damit umging, fiel mir eine wichtige Sache sein:

Die Nähe zur Natur.

In Deutschland lebte ich stets umgeben von Natur, wenigstens auf die eine oder andere Weise, d.h. der Wandel der Zeiten ist stets ein fester Teil des Lebens, weil der Umgebung.

In Japan, oder ich sollte vielmehr im Großraum Tokio-Yokohama sagen, einer im Grunde einzigen riesigen Stadt, gibt es dort, wo ich lebe, zwar auch kleine wie größere Parks, aber eben nicht in dem Umfang, obwohl dieser in den ländlichen Gebieten Japans natürlich existiert, was aber wieder eine andere Geschichte ist, eine, die ich noch nicht erzählen kann.

Nach vielen Jahren des Lebens hier, weiß ich aber nun auch, dass mehr dahintersteckt, es einen Grund für das bewusste Erleben gibt, weil man in Japan, besondere Orte, an denen die jeweilige Jahreszeit intensiv zu spüren und zu erleben ist, Jahr für Jahr, als Teil des Brauchtums besucht und das zu jeder Jahreszeit. Jede Jahreszeit wird bewusst angenommen und erlebt.

Und der Kuhombutsu ist so ein Ort, ganz besonders im Herbst, in dem das Herbstlaub auf wunderschöne Weise gefärbt ist und der Besuch und das Anschauen im Antlitz der alten Tempelanlagen sich noch einmal außerordentlich wunderbar gestaltet.

Momijigari heißt die japanische Sitte, im Herbst Landschaften und Parks mit schöner Herbstlicher Laubfärbung, insbesondere von Ahornbäumen und Wäldern zu besuchen.

Sogar ein Kabuki Stück, basierend auf einem viel älteren Noh Spiel, gibt es zu dem Thema und wird hier mit „Herbstjagd“ übersetzt.

Und so kommt es einem manchmal vor, auch wenn ich hier eher das innere Antreiben meine, das Gefühl etwas verpasst zu haben oder zu verpassen, die Jagd in sich also, und dadurch natürlich den Verlust zu spüren, wenn man in diesem oder jenen Jahr einmal nicht unterwegs war. Der dadurch entstehende Druck, sei es menschlich als auch sozial, wurde bereits in einem Eintrag zu den Blütenfragmenten, namens „Wiedergefundene Blüte“ beschrieben.

Die Schönheit der Natur wird zu etwas, dass einem Kummer bereitet oder Empfindungen des Verlustes oder Schmerzes hervorrufen und der Rastlosigkeit.

Und das bringt uns zurück auf den späten Spaziergang durch den Joshin-Ji oder Kuhombutsu Tempel…

Auch wenn den Farben der Blätter gewiss nicht mehr die Intensität wie zur Hauptzeit innewohnte, so war es doch gut sich noch einmal auf den Weg gemacht zu haben. Der Tempel ist bekannt, aber ein Geheimtipp nichtsdestotrotz und im Grunde zu jeder Jahreszeit einen Besuch wert. Ja, man sollte auch um die volle Stunde zuhören, so wie wir es in den Spurenklängen getan haben, denn im Haupttempel erklingen die Gebete der in den Tempelanlagen lebenden Mönche.

Vielleicht ist es ihr, in Übungen, Gebeten und Überzeugung, geschulter Geist, der diese Tempelanlagen immer wieder aufs Neue kostbar macht und beseelt.

Der Besucher an dem Tag des späten Herbstbesuches waren es weniger, wie so oft eigentlich, denn ich habe es selten erlebt, dass dieser Tempel überlaufen ist.

Es ist seltsam, wir suchen die Einkehr und die Stille in Kirchen, Tempeln, Parks und zu viele Menschen rauben dann ein Stück von der eigentlichen Intention, aber so ist es eben.

Die Wege waren leer, das Herbstlaub schimmerte im letzten Glanz der Sonne in bräunlichen, Gelben und roten Farben und allem was in der wundersamen Vorstellungskraft der Natur noch möglich war.

Die Neben- und der Haupttempel bildete einen wunderbaren Hintergrund, nur Blau des herbstlichen Himmels vermag eine noch größere Wirkung zu erzielen.

Es war gut dem Ruf der Natur noch einmal zu folgen, nicht nur um jetzt viele Jahre später davon zu erzählen, sondern auch für den damaligen Augenblick. Es ist gut die Jahreszeiten und die Geschenke der Natur bewusst zu erleben und eine kleine Erinnerungsstütze dazu, kann sicherlich nicht falsch sein.

Am Ende jedoch müssen wir uns nicht treiben oder gar jagen lassen von dem was um uns herum geschieht, sei es das bunte Treiben der Natur oder das noch viel Buntere, ja Verrücktere, der Menschen. Es darf kein Zwang in unseren Handlungen liegen und in dem was uns auferlegt wird, sondern absolute Freiwilligkeit und Selbstständigkeit.

Wir sollten, müssen und können in uns selbst ruhen, gemeinsam mit denen in der Familie und dem Kreis der Menschen, die um uns herum leben.

Und wenn wir uns dabei, allein oder gemeinsam, an den kostbaren Gaben der Natur erfreuen können, umso besser!

Das Treiben der Menschen ist vergänglich im Angesicht der Ewigkeit der Natur mit ihren Jahreszeiten und ihrer unvergleichlichen Schönheit.

Und im Herbst, kurz vor dem tristen, bitterkalten Winter, zeigt uns die Natur noch einmal zu welcher Schönheit sie in der Lage ist, als wolle sie sich in unsere Erinnerung einbrennen und sagen, es wird kalt und bitter in den kommenden Monaten, menschlich wie auch natürlich, aber die zauberhafte Tiefe des Lebens und ihre Heiligkeit existieren weiterhin, bis es im Frühling ein erneutes, äußeres, wie inneres Erwachen geben wird.

Der Herbst ist auch erfüllt mit Dank um die Zeit des Erntedankfestes herum, seien wir dankbar!

Freuen wir uns an den Jahreszeiten, freuen wir uns am Herbst und halten wir zusammen, nun, da es bald bitterkalt werden wird.

Der Herbst singt zu uns:

„Bunt sind schon die Wälder, gelb die Stoppelfelder, und der Herbst beginnt. Rote Blätter fallen, graue Nebel wallen, kühler weht der Wind.“

In diesem Sinne, wünsche ich Ihnen einen wundervollen Herbst, einen heilsamen Wandel der Jahreszeiten und natürlich eine angeregt und hoffentlich interessante Lektüre ihres Spurenmagazins in seiner nun schon dritten Ausgabe.

R. Rehahn, Herausgeber



Impressionen aus dem Spaziergang im Tempel

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