Das japanische Noh Theater
Begegnung mit Vergangenheit & Gegenwart
Vergiss das Theater und sieh auf das Noh. Vergiß das Noh und sieh auf den Schauspieler. Vergiß den Schauspieler und sieh auf das Herz. Vergiß das Herz, und Du wirst Noh verstehen. ZEAMI
Allen japanischen Künsten ist Jahrhunderte alte Tradition zu eigen, welche bis in die Gegenwart gepflegt wird — es heißt, im Noh Theaterverschmelzen all diese Künste, sowie die Geistes- und Gefühlswelt Japans. Es heißt, im Noh-Theater, findet man die Seele Japans.
Ein Besuch der Aufführung eines Noh-Spiels, in einem der vielen Theater in Tokyo, wie dem Nationalen Noh-Theater in Sendagaya oder dem Kanze Noh Theater in Shibuya, wird zu einer vielfältigen Begegnung, nicht allein mit Geschichte oder Tradition, die einen ehrfürchtig staunen lassen, sondern vor allem mit etwas sehr gegenwärtigem, seinem eigenem Selbst nämlich, denn die Kunst der Noh-Schauspieler, die ihr ganzes Leben auf die Ausübung, dem Studium und dem Lehren dieser Kunst ausrichten, zielt vor allem auf das Herz, auf die Schaffung von Gefühlen und Gedanken ab.
Hinzu kommt die Erscheinung tiefer Schönheit, in eleganten Bewegungen, prachtvollen Kostümen und kostbaren Masken, die aber Ausdruck eines Gesichtes sind, eines Gesichtes, das viel zu erzählen hat — Geschichten von Schicksalen, die universell sind und von jedem Menschen, egal aus welcher Kultur er stammt, verstanden werden können — Empfindungen, die wir alle erlebt haben im Leben.
Eine Noh-Aufführung beginnt in Stille, nachdem die Klänge einer Flöte und Trommeln, das Spiel eröffnet haben.
Nach dem rituell anmutenden Auftritt der Musiker und des Chores, tritt der Waki (ein Nebenspieler) auf, oft ein reisender Mönch und bereitet den Raum durch seine Erzählung vor: für den Shite (den Hauptspieler), meistens ein ruheloser Geist oder göttliches Wesen, in der Gestalt eines einfachen Menschen. In der Begegnung zwischen beiden Figuren wird die wahre Gestalt des Hauptspielers enthüllt, oft in einem Tanz, unter dem Klagen der Flöte und pulsierenden Trommeln. Die Stille und Langsamkeit des Anfangs steigern sich zu Ekstase in Musik und Bewegungen hin, unter dem kraftvollen Gesang des Chores.
Im Finale, da die wahre übernatürliche Gestalt der Hauptfigur offenbart ist, verschmelzen alle Aspekte der Kunst und lassen den Zuschauer gereinigt, befreit oder überwältigt, in einer Flut von Gefühlen, zurück. Von welcher Art diese Gefühle sind, das mag in jedem Einzelnen unterschiedlich sein!
Der ästhetische Bühnenraum aus Holz, den das Bild einer Kiefer im Hintergrund, Zeichen der Anwesenheit der Götter oder des Übernatürlichen, schmückt, ohne viel Bühnenbild oder Requisiten, läßt viel Platz für die eigenen Gedanken und Empfindungen, wobei es nicht so sehr die Sinnsuche eines jeden Details der Aufführung ist, sondern tatsächlich die Geistes- und Gefühlswelt, die in einem selbst entsteht.
In Stille endet ein Noh-Spiel, so wie es begonnen hat.
R. Rehahn, im März 2013...
Zum Noh Theater
Nō (jap. 能) ist eine Form des traditionellen japanischen Theaters, das traditionell nur von Männern gespielt (getanzt) und musikalisch begleitet wird. Seit dem beginnenden 20. Jahrhundert erlangen auch immer mehr Frauen den Status professioneller Nō-Darsteller. Meist trägt der Hauptdarsteller (Shite) eine Maske. Die traditionellen Themen betreffen meist japanische oder chinesische Mythologie oder Literatur. Einige Nō-Theaterstücke befassen sich mit Gegenwartsthemen.
Das Noh-Theater entstand vor über 600 Jahren aus einer Reihe von darstellenden Künsten und entwickelte sich über die Jahrhunderte, zu dem was in der Gegenwart lebendig betrachtet werden kann.
Das Nō-Theater wurde im 14. Jahrhundert von Kan’ami und seinem Sohn Zeami Motokiyo geschaffen. Seine Spuren lassen sich jedoch auf das Nuo der Tang-Zeit (chinesisch 儺戲 / 傩戏, Pinyin nuóxì), das Sarugaku und das volkstümliche Theater zurückführen. Damals waren Nō-Schauspieler auch gleichzeitig die Autoren der Stücke. Zeami war einer der berühmtesten Nō-Theoretiker.
Es gibt 5 Schulen (Kanze, Komparu, Hōshō, Kongō, Kita), in denen die Kunst auf professioneller Ebene, wie durch eine Anhängerschaft von Laien, gepflegt wird. Unterschiedliche Gruppen von Schauspielern, Musikern und Helfern finden sich zusammen und schaffen ein Theater, das allein auf der Schaffenskraft und den Ausdrucksmitteln von Menschen fundiert und darin liegt etwas sehr Kostbares und Essentielles.
In der Edo-Zeit (zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert) war es ein Privileg der Samurai, das Nō-Theater zu spielen und zu besuchen. Damals hatten Nō-Schauspieler den erblichen Samuraistatus. Vier bedeutende Nō-Theaterschulen (観世, Kanze; 宝生, Hōshō; 金春, Komparu; und 金剛, Kongō) bildeten alle Nō-Schauspieler aus. Auch die Nō-Musiker und Nebenrollenschauspieler kamen aus diesen vier Häusern. Dieses Iemoto-System gibt es bis heute. In der Meiji-Zeit kam die Kita (喜多) gleichberechtigt als fünfte Schule hinzu.
Auf der Bühne sieht und hört man: zwei, drei Darsteller: die Hauptfigur (Shite), einen Begleiter (Waki) und oft eine weitere Figur (Tsure), selten eine weitere Figur (Ai), die Musiker: Flöte, große und kleine Trommel, hinter den Darstellern sitzend, auf der rechten Seite den Chor (Hayashi), eine Gruppe von dunkel gekleideten Männern, die die verbindenden Text rezitieren.
Die Tradition und Geschichte des Theaters lenken oft von seiner wahren Natur ab, weil jedes Detail scheinbar zu schwer wiegt, dabei ist es in Wirklichkeit ein sehr gegenwärtiges Theater, in denen sich zeitlose Gefühle finden lassen, besonders für die heutige Zeit!
Das Nō-Theater wird traditionell in Verbindung mit Kyōgen, einer Art Komödie, aufgeführt. Nō und Kyōgen wurden im Jahr 2001 unter dem Sammelbegriff Nōgakugemeinsam in die UNESCO-Liste der Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit aufgenommen und 2008 in die Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit übertragen.[1]
Abgesehen von der Schönheit dieser Kunst, in der man der Seele Japans begegnen kann und am Ende manchmal auch sich selbst und seinem Menschsein, ist es ein Theater der Begegnung von Vergangenheit und Gegenwart!
Der Besuch einer Aufführung des Japanischen Noh-Spiels bringt vieles hervor, jeder kann dies selbst herausfinden, lohnend ist es auf jeden Fall, ob man ein Stück von Japan kennenlernen möchte oder von der Kraft dieser Theaterform berührt wird.
Dies ist der Auftakt einer langen Reihe zum klassischen japanischen Noh Theater, einer Kunstform, die uns bzw. mir besonders am Herzen liegt und die viele Aspekte unserer Arbeit inspiriert und beeinflusst…
Das Noh Spiel "Yoshino Tennin (Die Göttin bei Yoshino)"
Das Noh Spiel der Fotografien zu diesem Artikel heisst “Yoshino Tennin” oder “Die Göttin bei Yoshino” und wurde von Kojiro (1434-1516) verfasst und gehört zum Reportoire der Kanze - Noh Theater Schule.
Die Charaktere
1. Akt:
- Waki (Nebenspieler) — Ein Mann aus der Hauptstadt
- Waki-tsure (Nebenspieler-Begleiter) — Zwei seiner Begleiter
- Shite (Hauptspieler) — Eine Frau
2. Akt:
- Nochi-Shite (Nach-Shite) — Eine Gottheit
Die Geschichte
Einige Leute aus der Hauptstadt sind nach Yoshino unterwegs, um die Kirschblüte zu sehen, als sie eine wunderschöne Frau treffen, die sich ihnen anschließt um die Blüten zu betrachten. Bevor sie die Gruppe wieder verlässt, erzählt sie, daß sie eine Gottheit ist und das sie später zurückkehren wird, um einen alten Tanz für sie vorführen wird. Das geschieht dann auch und nachdem sie die Schönheiten des Frühlings anpreist, verschwindet sie auf einer Wolke aus Blüten.
Nachweise
Die Bilder zeigen den Noh — Schauspieler Komuro Tomoya, einem Mitglied der Umewaka Kennohkai Gruppe der Kanze Schule, und können mit freundlicher Genehmigung des Photographen Maejima Yoshihira verwendet werden. Der Text stammt vom Autor R. Rehahn, der sich selbst seit einigen Jahren, der Kunst des japanischen Noh Theaters, im Studium von Gesang, Tanz und Theorie, bei Meistern der Umewaka Kennohkai Gruppe, widmet und in Japan lebt.
Links
- Zeami: https://de.wikipedia.org/wiki/Zeami_Motokiyo
- Kan’ami: https://de.wikipedia.org/wiki/Kan’ami
- Noh Theater: https://de.wikipedia.org/wiki/Nō
- Umewaka Kennohkai: http://www.umewakakennohkai.com
Aus den Spuren | Klängen...
Episode 12 - Das japanische Noh Theater - Teil 1: Tänze & Gesänge
Episode 23: Das alte Noh Ritual Okina
„NÔ – DAS GEHEIMNIS DER STILLE“ (2004)
Japan hat viele traditionelle Kunstformen geschaffen – das Nô-Theater ist eine der faszinierendsten! Ruhe, Erhabenheit, Klarheit sind Worte, die einem in den Sinn kommen, wenn man das erste Mal eine Aufführung im erlesenen Nô-Nationaltheater in Tokyo miterlebt. Seit 600 Jahren wird diese Kunst bewahrt und gepflegt. Exakte Vorgaben bestimmen jeden Schritt, jedes Wort, jede Bewegung der Darsteller. Von schweren, erlesenen Kostümen umhüllt bewegen sie sich wie in Zeitlupe über die Bühne – begleitet von drei Trommeln, einer Flöte und dem Chor. Der Hauptdarsteller, der shite, trägt zudem eine Maske – denn das Nô ist das älteste noch existierende Maskentheater der Welt. Der Film führt auf eine Reise in das uns fremde und faszinierende Land Japan und die Kunst des Nô. Er portraitiert berühmte Schauspieler – allen voran Umewaka Manzaburô – und Musiker des Nô, wie Ôkura Shônoske oder Isso Yukihiro, denen ein Brückenschlag zwischen der starren Tradition und ihrem eigenen, modernen musikalischen Engagement gelingt. Immer wieder sind wir scheinbaren Gegensätzen auf der Spur, die sich doch mehr und mehr zu ergänzen scheinen: Das lebendige, quirlige, laute Tokyo – und die Stille des Nô. Am faszinierendsten aber ist die Stille selbst – Momente, in denen alle Schauspieler, alle Musiker, und damit auch das Publikum in atemloser Stille verharren. Momente, die mit Worten nicht zu fassen sind, wie eine gemeinsame Meditation aller Künstler und Zuschauer… QUELLE: https://thomasschmelzer.de/no-das-geheimnis-der-stille-2004/